Ankommen und Weiterkommen in Deutschland

Alphabetisierungskurse bei anderwerk

„Wer war das denn?“ – Nina Opitz, Leiterin der deutsch und Integrationskurse bei anderwerk, blickt in die Augen ihrer Teamkolleginnen Alena Alekseeva-Heyen, Dr. Ekaterina Borth und Glüscha Arslan. Gerade hatte eine junge Dame einen Blumenstrauß auf dem Tisch vor ihnen platziert und war wieder gegangen. „Das war Ayasha*“, erklärt Alena Alekseeva-Heyen. „Du erinnerst Dich sicher: damals schmal und schüchtern, geflohen mit ihren Eltern und zwei Schwestern aus dem Irak, Analphabetin … ? Sie hat einen Integrationskurs mit Alphabetisierung bei uns gemacht. Und später einen guten Quali geschafft. Seit letztem Jahr absolviert sie ihre Ausbildung zur medizinisch technischen Assistentin.“ Nina Opitz lächelt ihrem Team zu und nickt. Sie wissen, solche Erfolgsgeschichten wie die von Ayasha sind leider nicht selbstverständlich.

alphabetisierung unsplash

Nur ein Bruchteil der Analphabeten, die zu anderwerk kommen, schafft es auf Anhieb, den Integrationskurs erfolgreich abzuschließen. Erfolgreich heißt in diesem Fall, den Deutsch Test für Zuwanderer (B1-Prüfung) und den Test Leben in Deutschland, zu bestehen. Letzterer ist vergleichbar mit dem Einbürgerungstest. Teilnehmer aus Alphabetisierungskursen müssen am Ende die gleiche Prüfung ablegen, wie beispielsweise ein Ingenieur aus Indien oder eine spanische Krankenschwester. Zwar stehen ihnen mehr Stunden zur Verfügung, diese reichen aber so nicht aus, um den schriftsprachlichen Anforderungen des Niveaus B1 zu genügen.

Wir alphabetisieren nicht nur – wir lehren, begleiten und helfen

Nina Opitz und ihr Team von anderwerk bieten seit der Implementierung der Integrationskurse, also seit 2005, solche Kurse in München an. „Der Bedarf an Sprachfördermaßnahmen ist seitdem kontinuierlich gestiegen“, so Opitz. Das entspräche der weltweiten Entwicklung. Darum führe das Team inzwischen nicht nur die vom Bund geförderten Integrationskurse durch, sondern auch städtisch finanzierte Deutschkurse für junge Flüchtlinge und vor allem berufsbezogene Sprachkurse bis zum Niveau C1.

„Wir begleiten die Leute je nach Kurstyp zwischen vier und 13 Monaten“, erzählt Nina Opitz. „Dabei nehmen wir direkt und indirekt Teil an ihren Sorgen und leisten oft Hilfestellungen. Mal formulieren wir einen Brief an einen Vermieter wegen notwendiger Reparaturen. Mal helfen wir bei der Antragstellung auf Wohngeld oder andere Sozialleistungen.“

Für den Alltag reicht B1, für den Job braucht es mehr Schulung

In den Jahren 2016 und 2017 nahmen jeweils rund 1500 Personen an den Kursen teil. Die Spannweite der Nationalitäten war dabei groß: Sie reichte von so fernen Ländern wie Mosambik, Costa Rica oder Sri Lanka bis hin zu unseren europäischen Nachbarn wie Italien oder der Tschechien. Der interkulturelle Vergleich als fester Bestandteil des Unterrichts sorgt nach Erfahrung des anderwerk-Teams für Toleranz untereinander und öffnet zugleich die Sicht auf die neue Heimat.

Nina Opitz sagt: „Der Wunsch nach Integration, nach einer Teilhabe am beruflichen und gesellschaftlichen Leben, ist bei allen Teilnehmenden groß.“ Wer das Sprachniveau B1 erreiche, der finde sich im Alltag zurecht, für die Aufnahme einer qualifizierten Arbeit reiche es jedoch in der Regel nicht. „Wir finden es darum sehr gut, dass das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge seit Herbst 2016  berufsbezogene B2 und C1 Kurse als Instrument der nationalen Sprachförderung eingeführt hat.“

Auch Ayasha ist wieder da. Sie hat sich entschlossen, parallel zu ihrer Ausbildung noch einen berufsbezogenen B2 Kurs zu absolvieren. Für das Team von anderwerk schließt sich hier ein Kreis. Für Ayasha aber ist es nur eine weitere Station auf ihrem ganz persönlichem Lebensweg. Ihr Traum ist es, Medizin zu studieren. Und Alena Alekseeva-Heyen, Dr. Ekaterina Borth, Glüscha Arslan und Nina Opitz haben keine Zweifel, dass die ehemalige Analphabetin auch das schaffen wird. *Name von der Redaktion geändert