Anlaufstelle, Vermittler und Motivator
Hinter den Kulissen: Deutschkurse
„Wir sind Anlaufstelle, Vermittler und Motivator“, so fasst James Schinabeck seine Arbeit in der Verwaltung der Deutschkurse anderwerk zusammen. „Im Grunde sind wir für den reibungslosen Ablauf verantwortlich.“ Und da hilft es Verständnis zu haben: „Am Ende ist es doch wichtig, dass sie etwas können“, so Schinabeck. „Egal, wie lange es gedauert hat.“ Auch ihm sei nicht alles zugeflogen in der Schule. Aber es hat offensichtlich geklappt, denn Schinabeck ist heute studierter Historiker.
Das Verständnis für Schüler*innen, Abläufe und Zusammenhänge hilft ihm in seiner Position bei anderwerk. Er hat zwar auch die Lehrberechtigung, kümmert sich bislang aber im Schwerpunkt um die Abläufe. „Wir sind die neutrale Anlaufstelle für Fragen aller Art und daher landen natürlich auch private Sorgen bei uns. Als das Wohnheim neben uns aufgelöst wurde, kam ein verzweifelter Mann in unser Büro, dem ich zwar nicht konkret helfen konnte, aber ich kann immer Kontakte vermitteln und weiter verweisen.“
Es sind Menschen, die Zuspruch benötigen.
Grundsätzlich hat jeder bei anderwerk die gleich Chancen und das gesamte Team freut sich, wenn Schüler*innen wiederkommen für weitere Kurse oder einfach zu Besuch, um zu erzählen, wie es weitergegangen ist. Denn die Ausgangspositionen sind teilweise verheerend und viele haben Schlimmes gesehen. Schinabeck erklärt: „Unsere Kurse sind ein Anker in deren Leben. Sie begegnen anderen Kulturen und Deutsch ist ihr gemeinsamer Nenner. Die Routine und der Zuspruch helfen Jung und Alt.“
Die jüngsten Deutschüler*innen sind 16 Jahre alt, der Durchschnitt liegt bei 35. Am meisten Unterstützung benötigen die Älteren, die lange keine Schule besucht haben. Im Alphabetisierungskurs ginge es oft auch darum, das Lernen zu lernen, quasi wie in der ersten Klasse der Kinder. Den Dank bei bestandenen Prüfungen weist er eher zurück, denn er beziehungsweise anderwerk sorge für die Rahmenbedingungen, geschafft habe es jeder einzelne ganz alleine.
Freundschaften dank gemeinsamer Sprache
Bei der Beschreibung seiner Arbeit spricht er auch vom „Vermittler“. Auf Nachfrage erklärt er: Ich vermittle nicht nur Informationen, sondern auch zwischen Menschen, wenn es darauf ankommt. „Ich versuche stets Fairness herzustellen und als Verwaltung sind wir die neutrale Stelle, wenn es kleine Konflikte im Kurs gibt. Zu 90 Prozent handelt es sich dabei um kleine Missverständnisse im Eifer des Lernens und Lehrens.
Konflikte zwischen Nationen oder Religionen sind bislang nie in die Kurse oder das Schulhaus getragen worden. Freundschaften dagegen schließen die Teilnehmenden immer wieder. „Es ist schön zu beobachten, wie sich ein Vietnamese und ein Türke, die sich vor einem halben Jahr noch nicht miteinander verständigen konnten, jetzt als Freunde gemeinsam ihren Abschluss feiern.“
Während der Kurszeit erleben die Schüler*innen auch viel gemeinsam, was neu ist, denn sie haben sich nie zuvor als Touristen in der Stadt bewegt. Sie kümmern sich um ihren Job, die Sprache, Organisatorisches rund um die Familie und bleiben in ihrem Stadtteil. Ein gemeinsamer Ausflug wie zum Beispiel nach Nymphenburg ist ein absolutes Highlight und unserer Ansicht nach wichtig.
Denn es gilt ja auch, die deutsche Kultur zu verstehen, wie wir in unseren Orientierungskursen auch deutlich machen. Wir befähigen damit die Menschen, sich im Alltag zurechtzufinden. Warum verhält sich das Umfeld so? Welche Werte bestehen? Warum gelten die Deutschen als pünktlich? Woher kommt der Begriff Ossi und Wessi? Wie hat sich unsere Gesellschaft entwickelt?
Ich bin stolz, wenn sie es durchziehen
Von den Schüler*innen werden die Mitarbeitenden der Verwaltung als Autoritätspersonen wahrgenommen. Darum wiegt auch das Lob aus deren Mund schwer. James Schinabeck nutzt diese Tatsache für wichtige positive Impulse. Mit einer ukrainischen Schülerin hatte er vor drei Wochen ein Gespräch, weil sie unter ausgeprägter Prüfungsangst litt. Das Gespräch fand natürlich auf Deutsch statt und er hat sie langsam bestärkt, indem er sagte: „Sie führen mit mir gerade ein normales Gespräch und genau so machen Sie das auch morgen in der mündlichen Prüfung.“ Und sie hat B1 bestanden.“
Manche sind kurz vor dem Ziel und es verlässt sie die Kraft. „Dann hake ich ein“, sagt James Schinabeck. „Ich rufe an, frage, warum sie nicht mehr in den Kurs kommen. Mal liegt es an der Angst um Angehörige, die sie auffrisst – also sei es die Bedrohung der Frau im ehemaligen Heimatland durch die Taliban oder des Mannes durch den Einzug an die Front. Mal geht es mir auch sehr nahe, so wie in diesem Frühjahr als eine Teilnehmerin in die Ukraine fliegen musste, um ihren Mann zu pflegen. Sie hatte mir Fotos gezeigt und auch, wenn diese Gefahren weit weg sind, greift mich das in meinem Alltag an und beeinflusst mich.“ In anderen Fällen liegt es schlichtweg an der Motivation. Und da hilft Schinabeck: „Drei Wochen vor Schluss aufzugeben, wäre schade. Und dann bin ich mit stolz, wenn sie es durchziehen.“
Die Unterrichtssprache ist und bleibt Deutsch
James Schindabeck merkt den Fortschritt der Schüler*innen meist daran, dass sie die Sprache wechseln: „Die Anfangssprache ist hier fast immer Englisch. Erst wenn sie sich sicher genug fühlen, wechseln die TeilnehmerInnen in die deutsche Sprache. Aktuell haben wir ein Geschwisterpaar aus Afghanistan in einem unserer Kurse. Die Mädchen besuchen vormittags ein städtisches Gymnasium hier in München und abends sitzen sie seit vier Monaten in einem anderwerk Deutschkurs. Ihr Vater, der tagsüber in einer Firma arbeitet, ist ebenfalls in dem Kurs, doch den haben die zwei lange hinter sich gelassen und sprechen viel besser. Im Kurs „dürfen“ die Mädchen übrigens kein Farsi mit ihrem Vater sprechen, weil wir alle ermutigen, in den Kursen Deutsch zu kommunizieren. Das gilt auch für die Lehrkräfte. Ab und an kommen Interessenten zu mir und wollen genau in den Kurs von dieser oder jener Lehrkraft, weil sie Russisch, Ukrainisch oder eben Farsi spricht. Ich erkläre dann, dass das nachher im Unterricht keinen Unterschied machen wird, weil die Unterrichtssprache Deutsch ist und bleibt.“
Bei der Zeugnisvergabe findet James Schinabeck folgende Worte: „Jetzt beginnt ein neuer Lebensabschnitt. Kommen Sie in dieser nächsten Phase gerne wieder, denn wir freuen uns bekannte Gesichter zusehen.“