Struktur & Aufbruch nach neun Jahren

Erfolgsgeschichte aus dem Bereich „Elektrowerkstatt“

Die Story klingt nach einem perfekten Leben. Familie. Ehe. Erfolg. Doch der 58-jährige Erzähler hat kein Eigentum mehr. Keine Photoalben. Keine Erbstücke. Und kann nicht gleichzeitig sprechen und gehen. Sein Job hier bei anderwerk ist das Beste, was ihm in den letzten neun Jahren passiert ist. „Ohne anderwerk wäre ich zurückgefallen. Dann wäre ich nix Wert.“ anderwerk gibt ihm eine Chance und die nutzt Karl Brunner* mit aller Kraft.

Schmerzhafter Verlust

Lange Jahre hatte Karl Brunner erfolgreich als Elektroinstallateur gearbeitet. Als Meister leitete er große Projekte und ist nach eigenen Worten erst bei einer Elektrosumme von zwei Millionen eingestiegen. Voller Stolz blickt er zurück auf Baustellen wie eine Kläranlage oder auch ein Flughafen.

Aus Gründen kam es privat zur Scheidung. Aus der Aussage: „Die Frau hat alle Fotos verbrannt“ wird klar, dass die Trennung schmerzvoll verlief. Schmerzhaft, in körperlicher Form dann der Unfall von Karl Brunner. Ein Auto hatte ihn, den Fahrradfahrer übersehen. Die Folge: Rückenmarksquetschung, Rollstuhl und laut Neurologe keine Aussicht auf Besserung.

Schnaufend, an den Rollator gelehnt, erzählt Brunner von seiner damaligen Freundin, die ihm Mut gemacht hat: „Dank Sabine kann ich wieder laufen. Aufgeben war keine Option.“ Mit Sabine hatte Karl Brunner zuvor zwei Jahre das Leben genossen. Er hatte die deutlich jüngere Frau auf einer Ü30 Party kennengelernt. Niemals hätte er gedacht, dass er wieder heiraten würde. Aber mit ihr habe er das geplant.„Sie war Stewardess, gemeinsam waren wir überall auf der Welt.“ Waren. Eineinhalb Jahre lang hatte sie ihn bestärkt. Eineinhalb Jahre lang hatte er nach seinem Unfall wieder gearbeitet, in einem Planungsbüro.

Alkohol zum Einschlafen und zum Aufwachen

Karl Brunners Stimme wird brüchig: „Weihnachten ging es der Sabine auf einmal schlecht. Zwei Wochen später war die Sabine tot.“ Der Tod der Lebenspartnerin zog Karl Brunner, wie er sagt, den Boden unter den Füßen weg. „Ich kannte nur noch den Alkohol.“

13 Entgiftungen hat Karl Brunner heute hinter sich. Jetzt, beim 14. Mal, soll es klappen. Zum ersten Mal zog er nach der Entgiftung in eine therapeutische Wohngemeinschaft. „Ich wurde nach der Therapie im Haus Hirtenstein adaptiert.“ Seine einen Meter hoch vermüllte Wohnung wurde währenddessen ausgeräumt und entsorgt. Er wog 52 Kg bei einer Körpergröße von 1,72 Meter. Ernährt hatte er sich die letzten Jahre vorwiegend von Wodka.

Struktur und Verantwortungsgefühl

„Ich habe täglich ein bis zwei Flaschen Wodka konsumiert. Auch mein Arzt war erstaunt, dass ich keinen Leberschaden habe.“ Mit seinem Rollator macht er sich nun täglich auf den eineinhalb stündigen Weg zur Werkstatt von anderwerk: Bus, S-Bahn, U-Bahn, Bus. Die Haltestelle hat keinen Behindertengerechten Zugang. Karl Brunner macht sich nichts draus. Er ist für die anderwerk-Geräteprüfung für die Halle 2 zuständig. Er wird gebraucht.

Sandra Rusp, Sozialpädagogin bei anderwerk sagt: „Dank der Arbeit bei uns hat er nun eine feste Struktur, wirkt stärker und ist motiviert durchzuhalten.“ Sein Wunsch sei aus der AGH in einen Tam-Vertrag zu wechseln und so weiterarbeiten zu können. Er möchte kein Harz IV Empfänger mehr sein, sondern selbst für sich sorgen. „Mich beeindruckt sein Wille aus seiner Umgebung und Gewohnheit auszubrechen.“ Wegen Corona könnte er seit Anfang November zu Hause sein und die Maßnahme freiwillig aussetzen. Darauf verzichtet Karl Brunner. „Wissen Sie, ich mag meine Augabe hier“, erklärt Brunner. Und Sandra Rusp ergänzt: „Hier erhält er Anerkennung und kommt unter Leute.“

Karl Brunner ist davon überzeugt, dass er es schafft: „Ich will meine Enkelkinder irgendwann kennenlernen. Und wenn es erst ist, wenn sie groß sind.“

*Name von der Redaktion geändert