In seinem eigenen Tempo zum Schreiner

Erfolgsgeschichte aus dem Bereich Ausbildung Scheinerei

Zart und schüchtern wirkt der 22-jährige Florian*: Er lächelt unsicher, das blasse Bubengesicht eingerahmt von kurzem dunkelbraunem Haar. Dann wendet er sich um, streicht sich die langen Deckhaare hinter die Ohren, ein Undercut kommt zum Vorschein. Mit großen Schritten geht er zu den Maschinen. Geübt schneidet er sich in seiner ehemaligen Ausbildungsstätte, der Schreinerei bei anderwerk, die Bretter zurecht. Er liebt handwerkliches Arbeiten. Wobei er später erzählt, dass er lieber eine Ausbildung zum Floristen gemacht hätte, doch es war kein Ausbildungsplatz für ihn frei. Er lächelt etwas wehmütig.

Schreinerei

Widersprüche begleiten sein Leben

Heute ist Florian Schreinergeselle, sieht positiv in die Zukunft und ist voller Pläne. Sein Selbstbewusstsein sei wahnsinnig gewachsen während der Ausbildung hier bei anderwerk, bestätigt sein ehemaliger Meister Klaus Haas.

Florian lebt allein in München. Die vier Geschwister fehlen ihm. Sie wohnen bei ihren Vätern. Außerdem vermisst er die Gemeinschaft unter den Auszubildenden bei anderwerk, auch wenn er etwas aufgefallen ist unter den starken 11 anderen Jugendlichen. Und er vermisst die Hilfe des Meisters, der immer wieder nach dem Rechten sah, wenn der Druck zu groß wurde …

Er erzählt, wie er nach dem Qualifizierenden Hauptschulabschluss keine Lehrstelle gefunden hatte und schließlich im Berufsvorbereitenden Jahr die Schreinerei für sich entdeckt hat. Wie schön es war, als er die älteren Azubis jederzeit um Rat fragen konnte. Eine Gemeinschaft zu haben. Doch dann hat er beim ersten Mal die Gesellenprüfung nicht geschafft.

Zwischendurch stockt sein Redefluss. Er starrt vor sich hin. Ist steckengeblieben in Gedanken. Braucht Zeit. Nach ein paar Minuten ist er wieder da und erzählt weiter.

Gesellenprüfung geschafft, dank intensiver Betreuung durch den Meister

Als er zur zweiten Gesellenprüfung den Kasten mit zwei Schubladen abgegeben hatte, konnte er die Nacht zuvor nicht schlafen: „Es war alles ganz genau. Auf den halben Millimeter. Aber wenn die Luftfeuchtigkeit gestiegen wäre in der Nacht, wäre keine Schublade mehr aufgegangen.“ Die Unsicherheit, die Angst zu versagen, hatten Florian seit seiner Kindheit begleitet. Die Mutter war wenig für die Kinder da, musste sich um sich selbst kümmern. Kämpfte mit starken psychischen Problemen und Sucht. Während ihrer Untersuchungshaft waren die Kinder bei ihrem leiblichen Vater, doch auch er hatte nicht ausreichend Zeit für den empfindsamen Jungen.

Florian war meist sich selbst überlassen. Seine körperliche wie seelische Entwicklung war verzögert. Noch heute wirkt er Jahre jünger als seine Altersgenossen, zart und schüchtern. Seine Magersucht und Suizidalität hat er dank der Maßnahmen bei anderwerk überwunden. Erfolgserlebnisse trugen dazu bei: Nach drei Wochen langen Wartens kam damals der Brief mit der Bestätigung, dass bei der Gesellenprüfung alles gut gegangen war. „Ich glaube schon, dass sich meine Mutter gefreut hat. Vielleicht auch mein Vater“, überlegt er und schiebt nach, „auf alle Fälle alle Leute, die ich hier bei anderwerk kannte.“

Die erste Arbeitsstelle nach der Gesellenprüfung bei anderwerk hat er bereits nach dem Probearbeiten aufgegeben: „Ich war aufgeregt und nichts hat funktioniert. Hier bei anderwerk hätte ich das alles geschafft“, wieder stockt er. Seine Konzentrationsschwäche hat er noch nicht überwunden.

Ab und an kommt Florian noch vorbei in der Schreinerei. „Aber es sind kaum noch Azubis von letztem Jahr hier.“ Er zuckt mit den Schultern. Aktuell ist er bei einer Zeitarbeitsfirma als Flugzugmechaniker im Fertigbau beschäftigt. Das Arbeitsklima sei super, die Schichtzeiten perfekt. Dennoch lächelt er nicht.

Er blickt positiv in seine Zukunft als Schreiner

Und wie geht es weiter? „Ich könnte jetzt Abitur machen, Diplom Ingenieur werden“, sinniert er. „Oder Restaurator, aber das wäre teuer.“ Am liebsten würde er den Meister machen und dann eine Schreinerei eröffnen. „Mit allen ehemaligen von anderwerk. Die Teamarbeit war so schön, weil wir uns ähnlich waren.“ Jetzt schwärmt er: „Jeder hatte Schwächen. Jeder musste Fragen stellen, jeder hat sich Hilfe vom Meister geholt und bekommen.“ Er lächelt. Und freut sich auf die Zukunft. Er hat einen Plan. Und wird das auch schaffen. In seiner Zeit. Jetzt muss er weiter. Er will seinen ehemaligen Meister noch etwas fragen.

*Name von der Redaktion geändert