Ein viertel Jahrhundert Schreinerwerkstatt
Erfolgsgeschichte Schreinerei
„Wir hätten strenger sein können“, gesteht Manfred Endres, Schreiner-Meister, über 10 Jahre angestellt in der anderwerk-Schreinerei. Seit fast ebenso langer Zeit fungiert er als Senior-Experte und unterstützt den aktuellen Meister Klaus Haas sowie den Gesellen Fritz Jung dabei, die Jugendlichen auf dem Weg zur Gesellenprüfung zu begleiten.
Was hat sich in den letzten Jahren bei der anderwerk-Schreinerei verbessert?
ENDRES: „Kurz und gut: Die Ausstattung der Werkstatt ist hochwertiger, die Räume größer, die Möglichkeiten zu lernen damit vielfältiger. „Wir haben zudem immer mehr Mädchen, die handwerkliches Interesse zeigen. Oft wird in Werkstätten den weiblichen Schreinerinnen weniger zugetraut, dabei können sie genauso viel leisten. Die Voraussetzung ist, dass sie, wie es bei uns Standard ist, gleich behandelt werden wie die männlichen Azubis. Bei anderwerk kann ich beobachten, dass die weiblichen Azubis in der Theorie sogar besser abschneiden als ihre männlichen Kollegen.“
Ist die Konstante bei der anderwerk-Schreinerei das Verhalten der Jugendlichen?
ENDRES: „Ja, die Jugendlichen müssen heute wie damals lernen, Regeln einzuhalten, pünktlich zu sein und genau zu arbeiten. Bei anderwerk zeigen und erklären wir den angehenden Schreiner*innen alle Möglichkeiten.
Anders als in der freien Wirtschaft müssen die Jugendlichen bei uns auch im Umgang, im Anspruch und im Ablauf geschult werden. Damit meine ich den Umgang miteinander, den Umgang mit uns und den Umgang mit Kunden. Mit Anspruch meine ich, dass wir für Kunden arbeiten und daher die Qualität stimmen muss. Wir Meister oder Gesellen bessern zwar Fehler aus, so gut wir können, aber die Azubis müssen ihr Bestes geben wollen. Und mit Ablauf meine ich einen strukturierten Arbeitsablauf. Auch organisiertes Chaos kann ich akzeptieren, aber es muss organisiert sein.“
Was haben Sie in der anderwerk Schreinerei gelernt?
ENDRES: „Die Herausforderung bei uns ist, jeden in der Gruppe zu fordern und zu motivieren. Das ist ein konstanter Prozess auf beiden Seiten. Wir begleiten und bestärken die Jugendlichen, dabei habe ich gelernt, den richtigen Abstand zu wahren. Wir integrieren unterschiedliche Schwierigkeiten in die Ausbildung und wollen, dass sie Sideboards und Schreibtische mit Schubladen und Türen aus unterschiedlichen Materialien erstellen können. Und wir helfen ja so gerne, aber dabei ist es wichtig, die Distanz zu wahren und gegebenenfalls an den Kollegen abzugeben, mit dem Bewusstsein: „Ich kann nicht jedes Problem lösen, persönlich wie beruflich, das ist manchmal belastend.“
An welche Erfolgsgeschichte aus den letzen 25 Jahren können Sie sich gut erinnern?
ENDRES: „Eine besondere Geschichte war dieser fitte Knabe, der aus einer sozial schwierigen Familie kam, mit einem langzeitarbeitslosen Vater und einer Mutter, die keine Zeit für ihn hatte. So war er sehr viel sich selbst überlassen. Parallel konnte er sich nicht unterordnen. Keine Strategie half: Meine Kolleg*innen und ich haben diskutiert, ich habe ihm Grenzen gesetzt, ihn beurlaubt. Ein halbes Jahr vor der Gesellenprüfung war ich zusammen mit dem Team an dem Punkt, dass wir dem Teilnehmer mitteilen mussten, dass wir so die Ausbildung nicht fortführen können. Wir schalteten auch den Lehrlingswart der Innung ein, um den Ernst der Situation zu unterstreichen.
Wir beurlaubten ihn für zwei Wochen mit der Aufgabe, für sich abzuklären, ob er die Ausbildung und Gesellenprüfung bei uns abschließen will und boten ihm an, ihn bei der Suche nach einem anderen Betrieb nach Kräften zu unterstützen. Erst diese offizielle Stufe hat gezündet. Er entschied dann, bei uns die Ausbildung abzuschließen, und schafft es wirklich, sich in den normalen Werkstattalltag einzufinden. Beim Bau des Gesellenstücks bat er mich, ihn fachlich zu beraten und zu unterstützen.
Die Gesellenprüfung bestand er im ersten Anlauf und fand eine Stelle in einer Firma, die Teile für den Flugzeugbau herstellte. Im Jahr darauf besuchte er uns, erzählte, dass er mit seiner Freundin zusammenziehen werde und mit dem Vermieter abgesprochen hätte, dass wir ein paar Reparaturaufträge in der Wohnung durchführen können.
Das Ganze war letztlich ein kleines, richtiges Ausbildungsmärchen.
Und was wird aus den meisten Schreinerei-Azubi?
ENDRES: „Immer wieder begegne ich Jugendlichen auf dem Weg in ihre Arbeit, die bei uns gelernt haben. Und darum weiß ich: Wer bei uns seine Gesellenprüfung besteht, der macht seinen Weg, auch wenn viele in anderen Berufen landen. Die Ausbildung hier führt die Mehrheit ins Berufsleben. Und ja, wenn es nicht im ersten Anlauf klappt, dann im zweiten. Noch ist jeder mit einem guten Gefühl von anderwerk weggegangen. Die Jugendlichen sagten im Rückblick zu mir: ‚Sie hätten noch viel, viel strenger mit mir sein sollen.‘ Wir haben jedoch immer in bestimmten Situationen Leitplanken gesetzt.“