Traumberuf Koch – mit weniger Druck
Erfolgsgeschichte Kantine
Paul Kahn* ist Koch, mit Leib und Seele Koch. Aber Körper und Seele leiden unter dieser Leidenschaft. Dennoch hat er seinen Traum nie aufgegeben. Heute ist er stellvertretender Küchenchef bei anderwerk. Dazwischen lagen harte Jahre, in denen sein Körper nach Ruhe verlangte und seine Seele Stress und Trauer verarbeiten musste.
Gelernt hat er in Garching und in einer Wirtschaft am Sendlinger Tor. Hier in München, seiner Heimatstadt, hat er auch die Realschule besucht. Die verließ er zwar ohne Abschluss, aber mit einem klaren Ziel vor Augen: Ich will für andere kochen, und zwar so, wie er es bei Mutter und Oma gelernt hat, bayerisch, gutbürgerlich. Nach der Lehre arbeitet er als Einzelkoch in Gasthäusern mit viel Durchlauf, vielen Gästen und viel Trubel. Dann macht er sich mit einer Kantine selbstständig. Manchmal arbeitet er bis zu 36 Stunden am Stück. Um etwas Struktur zu finden, wechselte er als Frühstückskoch in ein großes, exquisites Hotel. Sechs Jahre hielt er es dort aus.
Schließlich rebellierte sein Körper, der im Laufe der Zeit einiges mitgemacht hatte: Kein Sport, kaum gesunde Ernährung, viele Zigaretten, die ihm bis heute helfen, den Stress zu bewältigen. „Als Kind war ich ein Spargel-Tarzan“, beschreibt Paul Kahn sich selbst. „Dann habe ich immer mehr zugelegt. Richtig dick wurde ich aber erst mit dem Arbeitsleben. Und je mehr ich geschuftet habe, desto schlimmer ist es geworden.“
Er war mit seinem Beruf verheiratet
Die Veranlagung, dick zu werden, liege in der Familie. Als Folge davon hatte er am Ende so starke Rückenschmerzen, dass er bis zu zehn Schmerztabletten täglich brauchte, um durch den Tag zu kommen. „2010 hatte ich zu viel zu tun und die Schmerzen nahmen überhand“, erinnert sich Paul Kahn. „Ich konnte nicht mehr stehen und musste schließlich aufhören zu arbeiten.“ Damals machte er eine Reha, um seinem Rücken zu helfen. Weniger arbeiten, um den Stress zu reduzieren, wollte er zunächst nicht.
Zwar habe er einen gesunden Freundeskreis, doch sei er stets mit seinem Beruf „verheiratet gewesen“. Die Familie, die ihm immer sehr wichtig war, ist heute nicht mehr existent: Opa und Oma sind gestorben, dann der Vater und auch der Bruder lebt nicht mehr. „Diese Abschiede und Verluste haben bei mir Narben hinterlassen“, sagt Paul Kahn. 2011 versuchte er in den Beruf zurückzukehren, aber schaffte es nicht. Wegen seiner Fehlzeiten wurde er schließlich entlassen.
Ich wollte unbedingt arbeiten
„Das Arbeitsamt hat schon versucht, mich irgendwo unterzubringen, aber der Amtsarzt meinte, ich dürfe nicht länger als zwei Stunden stehen oder sitzen“, sagt Kahn. Trost spendeten ihm damals seine Mutter und Freunde, denn obwohl die Rentenkasse die Umschulung bezahlt hätte, durfte er weder U- noch Busfahrer werden. „Ich wollte unbedingt arbeiten und bin auch sehr kreativ, darum habe ich Porzellan-Modellierer vorgeschlagen, ein weiterer Traumberuf von mir, aber da wären alle 18 Jahre alt gewesen und ich mit 40 Jahren zwischen den Jugendlichen …“ In einem Orientierungskurs des Jobcenters wurde 2013 klar, dass er auch mit weniger Gewicht und gesundem Rücken nicht für einen Bürojob geeignet ist. „Ich lasse mich nicht einsperren“, sagt Kahn. Er verzweifelte damals immer mehr. Dann verstarb seine Mutter … „Ich habe alles in mich reingestopft, damit es mir besser geht“, so Paul Kahn.
2015 versuchte es das Jobcenter noch einmal: Elektroniker. „Das hat Spaß gemacht und ich bin schon sehr weit gekommen“, sagt Paul Kahn stolz. Mit der bestandenen Kochlehre hatte er den Quali und konnte die Ausbildung im BFW Kirchseeon beginnen. „Es lief eigentlich ganz gut. Ich konnte etwas mit den Händen machen und habe die Prüfung zum Fachelektriker mit einer Eins bestanden.“ Er lernte viel, wollte alles richtig machen und hörte nicht auf die Signale seines Körpers. So erreichte er 2016 sein Höchstgewicht. „Damals hab ich bei einer Größe von 1,77 Metern rund 160 Kilo auf die Waage gebracht.“ Doch sein Körper hielt der Belastung nicht mehr stand, sein Immunsystem brach zusammen und er verbrachte das Jahr mehr oder weniger im Krankenstand. „Außerdem konnte ich in dieser Zeit nicht in die Sonne, weil ich darauf mit Migräneattacken reagierte.“
Ein Arzt schlug schließlich Alarm: Sie müssen abnehmen!
„Meine Blutwerte waren schlecht, mein Immunsystem am Boden“, erinnert sich Paul Kahn. „Ich musste dringend etwas ändern, sonst hätte ich nach Aussage meines Arztes schlichtweg nicht überlebt.“ Zunächst unterstützt von einer Klinik, stellte er seine Ernährung um. Innerhalb von eineinhalb Jahren schaffte er es dann auch in Eigenregie 50 Kilo abzunehmen. „Ich habe es ohne Magenverkleinerung geschafft, indem ich die Mengen reduziert habe und damit ist die überschüssige Masse erstmal weg“, so Kahn. Mit den weiteren Kilos aber kämpft er bis heute.
Erleichtert auf ganzer Linie, wagte er 2018 einen neuen Anlauf. Und zwar in dem Job, in dem er glücklich war: als Koch. Das Jobcenter vermittelte ihn an anderwerk – zunächst als 2-Euro-Job, um zu testen, ob diese Stelle das Richtige ist. Und sie war genau das, was er wollte: „Ich darf wieder kochen, das ist das Schönste, was man mir sagen konnte“, so Kahn. Die Abläufe hat er schnell verinnerlicht, die Speisen gelingen gut. Die „Heimatgerichte“, wie er sie nennt, liegen ihm besonders, und so darf er sich bald an Käsespätzle und Schweinebraten wagen. Bald übernahm er auch die Urlaubs- und Krankheitsvertretung für seinen Chef Werner Kopainigg.
Bei anderwerk herrscht kein Druck. Darum kann er wieder arbeiten.
Was anderwerk komplett von seinen früheren Arbeitgebern unterscheidet, ist der fehlende Druck: „Hier ist der Umgang mit den Kollegen anders, der Ton ist nicht so hart, hier muss ich andere motivieren“, sagt Paul Kahn. Er sei hier in der Kantinenküche ruhiger geworden und schimpfe weniger und sei sehr zufrieden, wenn der Alltag läuft. Dann hat er alles im Griff. Paul Kahn arbeitet jetzt 30 Prozent und wird sehr bald aufstocken, denn auch sein Chef ist zufrieden: „Er wird meine Vertretung, weil er bereit ist Verantwortung zu übernehmen.“ Und weil Paul Kahn immer weiter dazu lernen möchte. „Auch beim Kochen habe ich meine Erfahrung in der Verfeinerung weitergegeben“, sagt Werner Kopainigg, „von der Wirtshausküche zur gehobenen Kantinenküche.“
Paul Kahn ist auf dem richtigen Weg. Er achtet mehr auf sich, hat sich die Knie operieren lassen und will weiter abnehmen: „Noch bin ich sehr korpulent. Aber auch das werde ich ihn den Griff bekommen.“ Gut Ding will Weile haben, denn außer Atem ist er wegen seines hohen Zigarettenkonsums immer noch schnell. Aber es hetzt ihn niemand. Und auf seinen Chef kann er sich verlassen.
*Name von der Redaktion geändert.