Unauffällig auffällig
Erfolgsgeschichte Hauswirtschaft
Auf den ersten Blick scheint alles in Ordnung zu sein. Simone Fischer* ist unscheinbar. Gepflegt. Nicht laut, nicht leise. Geordnete Familienverhältnisse. Das einzige Hindernis scheint ihre Lernbehinderung gewesen zu sein. Jetzt ist sie ihrem persönlichen Traum ganz nah: Die Ausbildung zur Reinigungskraft läuft. Aber warum via anderwerk? Warum erst mit 29 Jahren?
Zum einen wirkt die dynamische, groß gewachsene Frau in der persönlichen Begegnung rund 10 Jahre jünger. Sie spricht in kurzen Sätzen, wirkt dadurch oft spröde. Worüber sie gerne spricht, sind ihre Freundinnen, die ebenfalls Reinigungskräfte sind und ihr zu diesem Beruf geraten haben.
Zum anderen wurde sie mit nur 18 Jahren zum ersten Mal Mutter. Dieses Kind, wir nennen es Finn, lebte mit seiner Mutter Simone Fischer sieben Jahre lang bei ihren Eltern. Mit dem Vater des Kindes hat sie nie zusammengelebt und wahrscheinlich auch keine Beziehung geführt. Heute, mit zwölf Jahren, wohnt Finn in einer anderen Stadt, etwa zwei Stunden vom Wohnort der Mutter entfernt, bei seinen Großeltern väterlicherseits. Sein leiblicher Vater ist verstorben. Simone Fischer sieht ihren Sohn Finn nur alle zwei Wochen. Ihre eigenen Eltern, die Großeltern des Kindes, haben keinen Kontakt zu ihrem Enkel. Wobei auch Simone Fischer zu ihrem eigenen Vater keinen Kontakt mehr hat. Ihre Mutter sieht nur sehr sporadisch. Bemerkenswert, wenn man bedenkt, dass sie bis zu ihrem 25. Lebensjahr mit ihren Eltern zusammen lebte.
Doch wann kam der Bruch?
Simone Fischer wuchs mit beiden Elternteilen in München auf. Nach der Grundschule besuchte sie die Hauptschule. Sie machte ihren Abschluss und ging direkt auf die Förderberufsschule. Die Bemerkung, dass sie hier zum ersten Mal Freunde gefunden habe, lässt aufhorchen. Offensichtlich hat sie für alles etwas länger gebraucht. Doch gerade als sie bereit war, einen Beruf zu ergreifen, wurde sie ungewollt schwanger. Sie beschließt, bei ihren Eltern zu bleiben und lebt fortan von staatlicher Unterstützung, dem Kindergeld für ihr Kind und ihrem eigenen Kindergeld. Die folgenden sieben Jahren verbringt sie also als Hausfrau.
Warum sie 2018 das Sorgerecht für ihr Kind verliert, möchte sie nicht erzählen
Im Jahr 2018 verliert sie das Sorgerecht für Finn, über die Gründe möchte Simone Fischer nicht sprechen. Die Agentur für Arbeit vermittelt sie noch im selben Jahr in eine Arbeitsgelegenheit (AGH) bei anderwerk. Im Beratungsgespräch mit Sarah Dormels, Sozialpädagogin bei anderwerk, äußert sie den konkreten Wunsch, in der Küche zu arbeiten. Sarah Dormels erinnert sich: „Simone Fischer war damals sehr unsicher und orientierungslos. Man merkte ihr an, dass sie Zeit zum Verarbeiten brauchte.“ Ziel war es, ihr Orientierung und Struktur zu geben.
Und tatsächlich: Sobald die Aufgaben klar waren, übernahm Simone Fischer Verantwortung und wurde schnell Teil des Teams. In dieser Zeit lernt sie auch ihren neuen Partner Mario* kennen. Schon bald zieht das frisch verliebte Paar zusammen. Und schneller als erwartet wird Simone Fischer mit ihrem zweiten Kind schwanger. Die Ausbildung bei anderwerk bricht die junge Frau ab. „Das war sehr schade, denn wir waren auf einem guten Weg und sie hatte sich toll entwickelt“, sagt Sarah Dormels.
Die innere Entwicklung wurde sichtbar
Als Leon* drei Jahre alt ist, kehrt Simone Fischer zu anderwerk zurück. „Sie wollte sofort in die Hauswirtschaft“, sagt Dormels. „Und hatte das feste Ziel, sich beruflich zu qualifizieren.“ Gleichzeitig nahm sie ihre Mutterrolle sehr ernst und stellte sie über alles: „Oft fehlte sie unentschuldigt, weil ihr Sohn krank war. Wenn dann der Schwager nicht einspringen konnte, blieb Simone Fischer zu Hause“, erinnert sich Sarah Dormels. Grundsätzlich sei kein Problem, aber Simone Fischer schaffte es selten bis nie, sich bei anderwerk zu melden. „Sie blieb dann zwei Wochen beim Kind.“ Und auch bezüglich des ersten Kindes musste anderwerk flexibel reagieren: Einmal alle zwei Wochen sei Simone Fischer für einen Tag bei ihrem erstgeborenen Sohn gewesen, so Sarah Dormels. Sie erklärt: „Frau Fischer war mit der Planung der Betreuung ihres zweiten Kindes und dem Sorgerechtsstreit um ihr erstes Kind im Grunde überfordert. Auf persönliche Nachfrage, wo sie denn sei, antwortete sie damals höchstens mit einem Halbsatz“.
Doch alles ist ein Prozess. Sowohl in der Hauswirtschaft als auch in der Familie gelang es ihr nach und nach, den Überblick zu bekommen: Bei anderwerk war sie oft eine der ersten, die frische Wäsche mangelte, gebrauchte Wäsche einsammelte, Pflanzen goss oder das Haus feucht wischte und den Müll leerte. Bald konnte sie den neuen Mitarbeiter*innen helfen und ihnen die Abläufe erklären. „Die innere Entwicklung wurde schließlich sichtbar“, resümiert Sarah Dormels. „Simone Fischer hat es geschafft, zu reflektieren, Prioritäten zu setzen und zuverlässiger zu werden.“
Sie ist optimistisch
Unterstützt von anderwerk suchte sie dann in Jobportalen nach einer Arbeitsmöglichkeit, schrieb Bewerbungen und wurde nach dem ersten Vorstellungsgespräch gleich genommen. Der Abschied von anderwerk, dem gewohnten Umfeld und der Sicherheit, die sie hier gefunden hat, sei ihr sehr schwergefallen, berichtet Sarah Dormels: „Sie hat schon ein paar Tränen verdrückt, aber das zeigt auch, wie wohl sie sich gefühlt hat.“ Im Moment verlangen ihr der Stundenplan der Berufsschule und die Eingewöhnung in die betrieblichen Abläufe ihres neuen Arbeitsplatzes noch einiges ab. Aber sie ist optimistisch und das ist das Wichtigste.
*Name von der Redaktion geändert