Was möchtest Du verändern und warum?
BSSA – soziales Kompetenztraining
Wenn eine Yogamatte die andere überholt, ist das ein gutes Zeichen, erklärt Dijana Kricka-Spasovska, Projektleiterin und Pädagogin bei INKOMM, dem Projektzentrum Interkulturelle Kommunikation. Hier finden Seminare für Berufsschüler*innen statt, die sich Unterstützung bei einem Thema wünschen. Besonders nach Corona, einer Zeit, in der sich die Schüler*innen nicht oft gesehen haben, ist der Wunsch nach besserer Atmosphäre und mehr Freundlichkeit groß.
Julia Kleppa und ihre Kolleginnen von der BSSA (Berufsschulsozialarbeit) von anderwerk erfragen die Bedürfnisse im Vorfeld: Mithilfe eines Fragebogens überprüfen sie regelmäßig die Situation in der Klassengemeinschaft. Die Seminare werden dann auf die Klasse zugeschnitten. „Als Auswirkung der Corona-Zeit ist leider häufig antisoziales Verhalten zu beobachten, ein nicht nur münchenweites Problem“, wie Julia Kleppa ergänzt und fortfährt: „Weil die Schüler*innen gelernt hätten, auf sich selbst zu achten“. Die Angst vor der Gemeinschaft habe zugenommen, auf den anderen zu achten, müsse wieder gelernt werden.
„Wir kommen zuerst in die Klasse in der Schule“, erklärt Dijana Kricka-Spasovska. „Schildern die Abläufe und treffen uns dann an einem vereinbarten Termin an einem externen Ort für das Seminar. DieTrainings finden in den INKOMM-Räumen statt und werden von den Teams aus meistens drei INKOMM-Pädagog*innen durchgeführt.“ Die von Julia Kleppa vermittelte Berufsschulklasse besteht aus 26 Schüler*innen und trifft sich nur zwei Mal in der Woche zum Unterricht in der Schule. Die restliche Zeit sind die Schüler*innen in den jeweiligen Arztpraxen. Daher kennen sich die Jugendlichen kaum und wünschten sich mehr Teamgeist und Gemeinschaft. Julia Kleppa sagt: „Die Mädchen und zwei Jungs hatten es nicht leicht als Klasse zusammenzuwachsen. Hier treffen unterschiedliche Erziehungsstile, Nationalitäten und Bildungsabschlüssen aufeinander. Also von Real-, bis Förderschule ist alles dabei.“
Das Feedback der Klassenleitung lautete: „Viele Schüler*innen kommen oft zu spät, haben nichts dabei und halten sich nicht an die Regeln.“ Sie fährt fort: „Uns war es wichtig, dass diskriminierende Aussagen und beleidigende Sticheleien wie ‚Du bist dumm’ zukünftig nicht mehr vorkommen“, so Julia Kleppa. Während des Seminars war dann weder Julia Kleppa noch eine Lehrkraft anwesend. Dijana Kricka-Spasovska ergänzt die Problematik aus ihrer Erfahrung:„Für viele Schüler*innen der Berufsschulen ist dieses erste Jahr ein großer Schritt: die Umstellung von einer Schule auf die andere, also zum Beispiel Mittelschule zur Berufsschule, die zusätzliche Arbeit, der fehlende oder neue Freundeskreis und die vielen Aufgaben, die nun zu erfüllen sind.“
Teamgeist: Alle im selben Boot, alle ein gemeinsames Ziel
Das Spiel ‚Der Wind weht über uns alle, die ….‘ sollte zu Beginn des Seminars ein erstes Gemeinschaftsgefühl schaffen. „Die gefrühstückt haben …“, rief die Erste und alle, auf die das zutraf, standen schnell auf und wechselten die Plätze. Wie nach jedem der folgenden Spiele, reflektierten die Mädchen und Jungen zwischen 16 und 20 Jahren anschließend, was ihnen am Ablauf und aneinander aufgefallen war.
Es folgte eine Gruppenaufgabe: „Wir haben die Klasse in diesem vorbereiteten Raum gebeten, eine Verpackung für ein rohes Ei herzustellen“, sagt Dijana Kricka-Spasovska. Die Ressourcen waren dabei auf Papier, Klebestifte, Scheren, Strohhalme und Schaschlikstäbe beschränkt. Die Gruppen wurden zufällig zusammengestellt. Mit drei zusätzlichen Eddings gestalteten sie ein Plakat, um für ihr Produkt zu werben. Beim anschließenden Fallenlassen der verpackten Eier (Robustheitstest) sollte das Ei ganz bleiben. „Mit ‚Ah, da habe ich nicht darauf geachtet‘, oder ‚Sorry, das mach‘ ich beim nächsten Mal‘ haben die Jugendlichen reflektiert, reagiert und bei der Präsentation viel gelacht“, erzählt Dijana Kricka-Spasovska und fügt an: „Da saßen alle im selben Boot und hatten ein gemeinsames Ziel.“
Und damit zurück zu den Yogamatten und dem Überholrennen: Bei diesem Spiel bilden die Klassen zwei Teams. Die zusammengerollten Yogamatten werden im Kreis weitergereicht und die schnellere Matte gewinnt. In dieser Klasse ist an diesem ersten Tag kein Ehrgeiz mit einem Wir-Gefühl entstanden. Die Teams waren gespalten in Spaß- und Leistungsorientierte. Es gab einen kleinen Konflikt. „Auf Wunsch der Klasse haben wir dann das Spiel am folgenden Termin eine Woche später wiederholt und es hat wunderbar geklappt“, so die Pädagogin. „In diesem Fall trägt man zum Erfolg bei, indem man sich, erfasst vom entwickelten Gemeinschafts-, Verantwortungs- und Mitgefühl, in das System einfügt.“ Die anschließenden Fragen brachten die Gruppe zum Nachdenken: Was ist für euch ein gutes Team? Was brauche ich, um mich noch wohler zu fühlen? Die am häufigsten genannten Begriffe in dieser Klasse waren ‚Teamwork‘ und ‚Respekt‘.
Beim nächsten Termin folgte auf das Yogamatten-Rennen ein Rollenspiel im Rahmen des Themas „Kommunikation“. Dabei ging es um eine Methode zur Verbalisierung eigener Bedürfnisse und Wünsche auf eine wertschätzende Art und Weise. Dijana Kricka-Spasovska erklärt: „Die Schüler*innen lernten darauf zu achten, in Ich-Botschaften zu formulieren und selbstreflektiert zu erklären. Zum Beispiel statt ’sei leise‘ zu sagen ‚Die Unruhe stört mich, weil ich mich nicht konzentrieren kann‘.“ Denn, wenn andere verstehen, warum etwas stört, fällt es ihnen leichter, sich auf ihre Umgebung einzustellen. Eine Schülerin setzte dies sehr gut um, indem sie sagte: „Ich kann das oft noch nicht. Ich muss viel im Unterricht mitschreiben. Darum bitte leise sein. Für meinen Erfolg in der Schule ist es wichtig, dass ich das mitbekomme“, erzählt Dijana Kricka-Spasovska.
Bei der letzten Übung ging es um positive Wahrnehmung. Während der „warmen Dusche“ sagten sich die jeweils sechs zufällig zusammengewürfelten Schüler*innen, was sie am anderen positiv finden. „Die Menschen neigen dazu, bei sich selbst und bei anderen eher Negatives wahrzunehmen. Und die Jugendlichen haben sich über die schönen Worte gefreut und teilweise sogar erstaunt reagiert“, so Dijana Kricka-Spasovska.
Das Seminar endete damit, aber nicht die Arbeit des INKOMM-Teams. Im Feedbackgespräch mit Julia Kleppa und der Klassenleitung wurde über bisher unerkannte Talente bei einigen Schüler*innen berichtet. „Wir haben gesehen, dass es in der Klasse Talente für Moderation und freie Rede gibt. Diese Talente wie das Mädchen Elena* könnten Brücken bauen und zum Beispiel bei Konflikten moderieren.“ Vor allem aber empfahlen die Pädagog*innen von INKOMM-Team der Klassenlehrerin und der Berufsschulsozialarbeiterin ein regelmäßiges gemeinsames Klassenfrühstück und gemeinsame Aktivitäten als Möglichkeit zur Selbstreflexion, um den Zusammenhalt der Klasse weiter zu stärken.
„Sobald Menschen unter Stress stehen, greifen sie auf bekannte Verhaltensmuster zurück“, erklärt Dijana Kricka-Spasovska. „Wir wünschen den Schüler*innen, dass sie sich ihre Empathie erhalten und weiterhin an die Bedürfnisse der Mitmenschen sowie ihre eigenen denken beziehungsweise diese spüren.“
*Name von der Redaktion geändert.