Langsamer Fortschritt
Erfolgsgeschichte aus dem Bereich „Elektrowerkstatt“
Was ist eine Erfolgsgeschichte? Wie definieren die Teilnehmenden einen Fortschritt? Dila Tekins* konkretes Ziel war es, mit einem Berufsabschluss eine Festanstellung als Fachinformatikerin zu bekommen. Dieses Ziel hatte sie schon fast erreicht. Doch dann kam die Depression zurück …
Dila Tekin ist in München geboren, dennoch hat sie erst mit 25 Jahren die deutsche Staatsbürgerschaft erhalten. Auch ihren Hauptschulabschluss machte sie erst mit 19 Jahren. Warum alles etwas länger brauchte? Vielleicht, weil sie sich sehr intensiv um ihren autistischen Bruder gekümmert hat, der sehr in sich zurückgezogen lebt. Wahrscheinlich auch wegen ihrer Depression, einer Krankheit, die in der Familie liegt und an der schon ihre Mutter zeitlebens leidet.
AGH-Stelle zum Test ihrer Stabilität
Nach der Schule jobbte sie in Cafés und als Kassiererin im Einzelhandel. Von 2016 bis 2018 folgte dann die Ausbildung zur Fremdsprachenkorrespondentin, die sie aufgrund ihrer Depressionen leider nicht abschließen kann. Dank einer Therapie stabilisiert sie sich und das Jobcenter schlägt eine AGH-Stelle bei anderwerk vor, um zu testen, ob sie stabil genug ist, um einer langfristigen Beschäftigung nachzugehen. Ihr neuer Vorgesetzter, Andreas Bohse, Leiter des Elektrogeräteservices bei anderwerk sagt über seinen ersten Eindruck von Dila Tekin: „Sie wirkte jünger als sie war, verschüchtert und kindlich. Und trotzdem wusste ich sofort, die will was erreichen und der traue ich das komplett zu.“
Ausführliche Nachhilfe bei anderwerk – Prüfung bestanden
Trotz ihrer 27 Jahre lebt die schüchterne Frau noch heute bei ihren Eltern. Unauffällig und in sich gekehrt. Selbst für das Vorstellungsgespräch hat Dila Tekin ihren geliebten Kapuzenpulli nicht gegen eine Bluse eingetauscht. Ihre wenigen sozialen Kontakte pflegt sie vor allem zu Gamern, und zwar online. Durch diese Leidenschaft kannte sie sich bereits vor der Ausbildung mit Hardware aus und hatte gute PC- und sogar Java-Kenntnisse. Die Aufgaben in der AGH, also Computer aufsetzen, reparieren und Hard- und Software austauschen, lagen ihr. Sie war zuverlässig und offen für Neues.
Nächster Schritt: Eignungstest für die Umschulung. Bestanden! Weil sie in der Berufsschule im dreijährigen Zug war, aber die Prüfung bereits nach zwei Jahren machte, fehlte ihr Stoff. Daher dann der Rückschlag: Bei der Zwischenprüfung erhielt sie Note 5. Zwar hatte sie ehrgeizig selbst gelernt, doch dann kamen ihre Corona-Erkrankung, ihre depressive Mutter und auch ihr mangelndes Verständnis für schwierige Sachverhalte. Ohne Stefan Thom, Diplom-Informatiker bei anderwerk, als Nachhilfelehrer hätte sie die Abschlussprüfung nicht geschafft. Er erinnert sich: „Sie ist sehr intelligent, aber ich musste ihr oft sagen ‚Du kannst das, dann mach es auch.‘“ Das Resultat: Note vier – Prüfung bestanden.
Geschützer Rahmen, kein Druck, viel Verständnis
Burkhard Denninger, Sozialpädagoge bei anderwerk, erklärt: „anderwerk konnte Dila Tekin den geschützten Rahmen bieten, den sie für ihre Erfolgsgeschichte benötigte.“ Er ergänzt: „Kein Leistungsdruck, viel Nachhilfe, und Gespräche statt Konflikte zwischen Meister und Azubi.“ Da Stefan Thom seine Auszubildenden zu Reparatur- und Instandsetzungsarbeiten bei seinen Einsätzen innerhalb der AWO München stets mitnimmt, haben seine Schützlinge viel Gelegenheit zum Üben. Durch diese große Praxisnähe erleben die Azubis Erfolge. Diese Form der betrieblichen Ausbildung sorgt für Selbstwertgefühl. Und damit ist Dila Tekin nun Fachinformatikerin für Systemintegration geworden.
Ja, die Depression kam zurück. Ja, Dila Tekin konnte keine Stelle antreten auf dem ersten Arbeitsmarkt. Aber auch das wird kommen. Der erste Schritt ist getan. Es geht eben alles etwas langsamer. Aber es bewegt sich. Und das ist ein Fortschritt. Und damit ist Dila Tekin eine Erfolgsgeschichte für Stefan Thom, Andreas Bohse und die gesamte Elekrowerkstatt von anderwerk.
*Name von der Redaktion geändert