Viola kocht sich glücklich
Erfolgsgeschichte Berufsorientierung
Sie wird wohl nie die Hosen anhaben. Nicht im wörtlichen und nicht im übertragenen Sinne. Ihr Großvater ist Sinti-Familienvorstand und entscheidet, was gut und richtig ist für den Rest der Großfamilie. Den Frauen ist das Tragen von Hosen verboten. Daran wird sich Viola halten. Die Generation ihrer Eltern zog noch umher, lebte in verschiedenen französischen Dörfern, einige Zeit in unterschiedlichen Gegenden Österreichs und dann in Düsseldorf, bevor sie in München sesshaft wurden. Hier lebte die Familie wie Viola sagt „vor sich her“. Aufstehen, duschen, einkaufen, kochen, Besuch empfangen oder anderen einen Besuch abstatten, essen und schlafen gehen. Viola ist die erste ihrer Familie, die ein vollkommen anderes Leben führt. Sie hat die Schule erfolgreich abgeschlossen, absolviert aktuell eine Ausbildung und wird danach eine Stelle als Beiköchin antreten. Ein Triumph für Sie, ihre Familie und auch für das Team bei anderwerk, die ihr zur Seite stehen.
Bis zu ihrem sechsten Lebensjahr verlief Violas Leben ohne große Aufregung. Sie verbrachte ihre Zeit innerhalb der Großfamilie und sprach hauptsächlich Sintitikes. Eine jähe Unterbrechung war dann für Viola, dass sie aufgrund der Schulpflicht ihr Elternhaus verlassen musste. Schulbildung hatte in ihrer Familie bislang keinen großen Stellenwert. Viola fiel es sehr schwer, dem Unterricht zu folgen und auch der Unterricht der Förderschule war ihr zu schnell.
Viola wurde zwar aufgrund ihrer Herkunft als Sinti nie offen ausgegrenzt. Dennoch sonderte sich ab und hat bis heute eine einzige, dafür sehr enge und gute Freundin. Für mehr fehlt ihr auch die Zeit: An die Schulpflicht schloss sich ein Jahr zur Arbeitsqualifizierungskraft an. Auf Wunsch ihres Opas kehrte sie dann zurück zu ihren Eltern beziehungsweise ihren Großeltern und übernahm dort die Haushaltsführung. „Meine Oma war krank, also habe ich das Putzen, Kochen, Waschen und Aufräumen übernommen“, erklärt die heute 22-Jährige. Egal, ob bei Eltern oder Großeltern, es ist stets was los zu Hause. „Bei uns ist nie Ruhe“, erklärt Viola. „Jeder freie Platz in der Wohnung ist besetzt mit Familienfreunden oder Verwandten und wenn einer geht, dann kommen andere. Da ist immer was zu tun.“
Jetzt will sie Beiköchin werden
Zu anderwerk durfte sie, weil ihre Schwester bereits eine Betreuung bei anderschule genoss. „Hier wurde mir dann alles besser erklärt. Mit hat so viel Stoff gefehlt“. Manfred Trojer, Sozialpädagoge und Lehrer bei anderwerk erklärt: „Viola hat einen relativ niedrigen IQ. Darum erhielt sie bei der Mittelschulprüfung einen Nachteilsausgleich. Während der Abschlussprüfung durfte ich außerdem neben ihr sitzen und ihr Hinweise geben.“ Zur großen Freude von Manfred Trojer, seiner Kollegen und Violas Familie bestand sie die Prüfung mit einem Schnitt von 3,5.
Jetzt boten sich Viola auf einmal neue Möglichkeiten: „Ich wollte eigentlich immer Kellnerin werden. Für uns Sinti sind die Berufe Altenpfleger, Metzger, Polizist und Massage geben verboten. Andere Körper anzufassen, gilt bei uns als unhygienisch. Ich will jetzt Behelfsköchin werden.“
Von anderwerk zum Berufsbildungswerk
Dank des großen Einsatzes von Manfred Trojer, dem Sozialpädagogen Hermann Heinrich und dem Kantinen-Team von anderwerk in der Gärtnerstraße darf Viola an einem Reha-Programm des Berufsbildungswerks in Kirchseeon teilnehmen. Die Ausbildung besteht hier aus weniger Theorie, mehr Praxis und geht langsamer vor sich. „Streng ist mein Chef aber trotzdem“, betont Viola. Dass sie bei ihrem ersten Referat vor ihren vier Mitschüler*innen zum Thema gesunde Ernährung eine Eins bekommen hat, macht sie darum noch stolzer.
„Das Reha-Programm soll Menschen mit Lern-Behinderung die Teilhabe am Arbeitsmarkt ermöglichen. Bei Viola sehen wir da sehr große Chancen“, sagt Manfred Trojer. „Sie hat Ehrgeiz und will vorankommen und hat dadurch einen Sonderplatz in der Familie. Alle sind gleichzeitig ein wenig stolz auf sie. Selbst der Opa.“
Viola wird eine der wenigen Köchinnen sein, die im Rock kocht. Dafür wird sie wie alle eine Mütze tragen. Dazuzugehören, darauf freut sie sich.
*Name von der Redaktion geändert