Heimweh nach dem toten Opa

Erfolgsgeschichte Deutschkurse

„Meine Schwester war schon ein Jahr hier, als ich mit meinen Eltern nach Deutschland kam und sie sprach schon Deutsch“, berichtet Valentina Bacher*. Sie selbst hatte vorher noch ihr letztes Schuljahr beendet, bis sie mit 16 Jahren aus Venezuela in die ehemalige Heimat ihres Uropas ausreiste. „Mein Deutsch habe ich zuerst bei anderwerk Deutschkurse gelernt, perfektioniert habe ich es in Gesprächen mit Freunden“, erklärt die heute 24-Jährige ihren großen Wortschatz und ihre fast akzentfreie Aussprache.

„Mein Opa ist bereits in Venezuela geboren, aber er war noch sehr deutsch“, erzählt Valentina und lächelt. Eine seiner Eigenschaften, die sie hier in Deutschland als typisch wiedererkannt habe, sei das handwerkliche Selbermachen. „Er hatte eine exakte Vorstellung, wie etwas zu sein hat und baute es genau so“, sagt Valentina Bacher. Das taten viele Deutsche, die sie in den letzten acht Jahren kennengelernt hat, auch.
Seit ihrer Ausreise war sie nur drei Mal in der alten Heimat. Vor zwei Wochen sei ihr Opa gestorben. „Dass ich nicht bei seiner Beerdigung sein konnte, war sehr schlimm. Mit ihm ist ein Stück meiner Heimat gestorben.“

Besseres Deutsch führt zu besserer Behandlung

Gemeinsam mit ihren damals noch verheirateten Eltern und ihrer Schwester lebt sie seit 2014 in München. „In Deutschland war ich immer etwas jünger als mein Umfeld, weil wir üblicherweise in Venezuela die Schule bereits mit 16 Jahren beenden und dann auf die Universität wechseln.“ Da ihr Schulabschluss hier in Deutschland nicht anerkannt wurde, besuchte sie für ein Jahr ein Studienkolleg. „Es ist sehr hilfreich, dass ich die Sprache mittlerweile gut beherrsche“, so Bacher. In der Anfangszeit seien manche Deutsche nicht freundlich zu ihr gewesen, wenn sie schlecht Deutsch sprach. „Ich habe einfach sehr lange gebraucht, um mich zu äußern.“ Jetzt werde sie sehr gut behandelt. Das nehme sie „den Deutschen“ allerdings bis heute ein klein wenig übel.

Ihr Vater habe sich sehr verändert, sobald die Familie in Deutschland angekommen war. „In Venezuela war er ein sehr strenger Vater, weil er Angst um uns hatte. Als mein Cousin nachts in Caracas erschossen worden war, wollte er das Land sofort mit uns verlassen.“ Hier in Deutschland habe der Vater sich hinsichtlich der Freiheit der Töchter entspannt. „Meine Eltern hatten sich für uns Kinder in Deutschland bessere Bildung und mehr Möglichkeiten erhofft“, so Bacher. Diese Chance nutzen die beiden jungen Frauen jetzt. Die Schulabschlüsse der Geschwister und der BWL-Studienabschluss der Mutter waren in Deutschland zunächst nicht anerkannt. Heute arbeitet die Mutter als Erzieherin, die Schwester studiert in Heidelberg und der Vater ist zurückgekehrt nach Venezuela.

Ich möchte im Deutschen korrigiert werden

„Mein Vater hatte damals einen eigenen Laden für Autoreifen besessen, doch den musste er natürlich bei unserer Auswanderung aufgegeben und nun versucht er sich im Alter von 57 Jahren neu zu orientieren“, erzählt Valentina Bacher. Beide Schwestern unterstützten den Vater aktuell finanziell. Sie selbst wolle nicht zurück nach Venezuela: „Die Menschen verdienen dort wenig Geld und arbeiten, um zu (über-)leben. Ich möchte schön leben und arbeiten.“

Dafür hat sie bislang viel getan: „Ich würde mich als fleißigen Menschen bezeichnen. Wenn ich ein Ziel vor Augen habe, arbeite ich, bis ich es schaffe.“ So war das auch mit der deutschen Sprache. Schnell war sie die Klassenbeste: „Das Tolle bei anderwerk war, dass wir untereinander Deutsch sprechen mussten, weil die anderen Kursteilnehmer*innen aus Syrien, Kroatien, Italien und Griechenland kamen und wir für jede Interaktion Deutsch nutzten.“ Jana Knippelmeyer, Abteilungsleitung der anderwerk Deutschkurse sagt: „Um eine Fremdsprache in ihrer Vielfalt zu erlernen, erfordert es viel Einsatz und Durchhaltevermögen – das hat Valentina sehr positiv bewiesen.“ Und sie ergänzt: „Sie hat es geschafft, ihre Ziele in die Realität umzusetzen, weil sie an sich geglaubt hat.“

Valentina sagt, dass es ihr neben den Deutschkursen auch geholfen habe, Filme mit deutschen Untertiteln zu sehen. Und „reden, reden, reden ohne Angst vor Fehlern zu haben“: „Ich habe mich immer gefreut, wenn ich von Deutschen korrigiert wurde, denn das Gehirn merkt sich sonst das Falsche.“

Zerrissen zwischen Deutschland und Kolumbien

Auf das Studienkolleg folgt eine Feststellungsprüfung, die mit dem Abitur vergleichbar ist in sechs Kursen mit den Schwerpunkten Deutsch, Geschichte und Latein. Das geisteswissenschaftliche Studium in Multimedia und Analog-Kunst an der LMU München schloss sie mit dem Bachelor ab. Heute verkauft sie ihre Kunst digital: „Ich verbinde in meinen Werken die Transkulturalität durch Symbolik aus beiden Kulturen“, erklärt sie stolz.

Sie schildert dabei eine gewisse Zerrissenheit: „Mein Lieblingssprichwort hat mir mein Ex-Freund beigebracht: ‚Was der Bauer nicht kennt, isst er nicht.‘ Darum hat er mir die bayerische Küche näher gebracht. Heute liebe ich Hackbraten. Aber auch der beste Hackbraten hilft mir nicht, gegen das Heimweh nach südamerikanischem Obst wie der Guanabana (Stachelannone).“ Die könne man in München nicht kaufen.

Danke an den deutschen Uropa

Ähnlich zwiegespalten fühle sich ihr Verhältnis zum deutschen Wetter an: „Vor der Ankunft in Deutschland hatte ich mich auf meine erste Begegnung mit Schnee gefreut. Heute fällt es mir sehr schwer, in kaltem Wetter zu leben und ich vermisse die venezolanische Wärme jedes Jahr mehr.“

Die deutsche Sprache bereite ihr kaum noch Schwierigkeiten. Doch könne sie sich noch gut daran erinnern, als sie die unterschiedlichen Bedeutungen von ‚Freund‘ lernen musste. „Auf Deutsch heißt es immer gleich. Im Spanischen sprechen wir von ‚Amigo‘ und nutzen Novio, wenn die Liebe mit im Spiel ist.“

Ihre große Liebe wird immer die alte Heimat Bolivien bleiben. Ihr Uropa war damals dorthin ausgewandert, um nach dem Ersten Weltkrieg in der Ferne ein besseres Leben zu finden. Valentina hat von ihm die deutsche Staatsangehörigkeit und die Chance auf ein besseres Leben in der neuen Heimat Deutschland geerbt. Gracias abuelo!

*Name von der Redaktion geändert