Talentiertes Bad-Girl setzt sich durch

Erfolgsgeschichte aus dem Bereich „Schreinerei“

Bereits in der Probezeit hatte sie den neuen Job in der Schreinerei wieder verloren. Damit war die Enttäuschung groß und das Selbstbewusstsein mal wieder dahin. Vorgeworfen wurde ihr, sie sei langsam und ungeschickt. „Lauter unqualifiziertes Zeug“, wie Klaus Haas, ihr Anleiter bei anderwerk und Schreinermeister, sagt. Sarah Loos* sei vielmehr talentiert und habe gute Ideen. „Während andere ein Teil nach dem anderen anfertigen, ohne auf Details zu achten, kann man sich bei Sarah darauf verlassen, dass sie die Feinarbeit leistet, die ein Akkord-Arbeiter übersieht. Sie ist eben kein Arbeiter, sondern eine sehr gute Handwerkerin.“ Bei anderwerk wurde ihr Potential erkannt. Und davon profitierte nicht nur die 20-Jährige, sondern auch ihre Mit-Azubis.  

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Erfolgsgeschichte schreinerei

Vom Mobbing-Opfer zum Tough-Girl

Das IBZ-Jugend hatte den Förderbedarf bei Sarah erkannt, nachdem sie ihre Geschichte darstellen durfte: „Ich hatte von sechs bis zum Ende meiner Pubertät verschiedene Ticks, wie leises Pfeifen, unvermitteltes Lachen oder ständiges Räuspern. Vor allem wenn der Druck, es nicht zu tun groß war, wie in der Schule oder in Anwesenheit meiner Mutter. So wurde ich zum Mobbing-Opfer.“ Das bedeutete im Fall von Sarah, dass die MitschülerInnen ihr Federmäppchen klauten, die Stifte zerbrachen, sie nachäfften und bei Klassenfahrten keinesfalls mit ihr das Zimmer teilen wollten. „Die Lehrer“, so berichtet Sarah heute, „waren keine Unterstützung und ich war damals viel alleine.“

Sarah wurde durch diese Ausgrenzung zum Tough-Girl: „Ich lasse mir heute nichts mehr gefallen.“ Mit 17 hatte sie die Ticks überwunden und wollte nach Abschluss der Realschule eine Ausbildung absolvieren. Meine Mutter hatte meine Idee, in einer Schreinerei zu lernen, von Anfang an unterstützt . Mein Vater aber war leider dagegen und kommentierte das nur mit „das machen doch nur Männer“. Sarah distanzierte sich darauf emotional von ihrem Vater. Eine Distanz, die sich erst mit ihrem erfolgreichen Abschluss verringerte.

Frauen nehmen Männern den Job weg

In der ersten Lehrstelle blieb sie nicht lange. Sarah erzählt, dass der Chef mit ihr konstant unzufrieden war. „Ich war zu schwach. Kleine Betriebe wollen einfach Männer, die zupacken können und ich brauchte Zeit um die Muskeln zu entwickeln. Außerdem macht man ja erst grobe Arbeiten, dann die Feinen. Diese Zeit wollte mein Chef mir nicht geben. Er sagte: ‚Ihr Frauen, die ihr dann studieren wollt, ihr nehmt den Männern die Jobs weg‘.“

Sie bewarb sich nach dem Rauswurf, doch fand erst bei anderwerk, was sie brauchte: Die Meister pflegen mit ihr wie auch mit den anderen Auszubildenden einen Umgang auf Augenhöhe. „Sarah konnte erfreulicherweise immer umsetzten, was wir ihr erklären und hat von Anfang an die Verantwortung für ihre Projekte übernommen“, freut sich Klaus Haas. Ihr erstes Stück war eine Restaurierungsarbeit, also eine eher anspruchsvolle Tätigkeit, die am Anfang frustrierend sein kann, jedoch ein Erfolgserlebnis verspricht. „Wir haben dann gleich bei der nächstes Arbeit den Anspruch gesteigert und auch das, den Bau eines Einbauschranks mit Schiebetüren, hat sie selbstständig gemeistert“, so Haas weiter.

Anerkennung statt Diskriminierung

Natürlich habe Sarah wie viele andere SchülerInnen bei anderwerk Schwächen. Pünktlichkeit sei nicht ganz ihr Ding gewesen. Und auch Regeln oder jegliche Form der Einschränkung ihrer Freiheit, stoße sofort auf heftige Gegenwehr. „Aber damit wissen wir umzugehen. So stellen wir sehr schnell eine positive Atmosphäre her, damit die Azubis sich wohl fühlen, nichts zu befürchten haben und verstehen, dass wir sie brauchen, um unsere Kunden beliefern zu können.

Dank ihres Engagements war Sarah schneller als andere bei Kundenterminen dabei und fühlte sich so dem Team und dem Kunden verpflichtet. „Das hat dafür gesorgt, dass sie auch im Team einen positiven Einfluss genommen hat“, berichtet ihr zuständiger Meister. „Sie spricht die gleiche Sprache oder Slang wie die anderen teils harten Kerle und brachte Themen in die Runde, die sich die Jungs von uns nicht anhören würden, wie soziale Gerechtigkeit, andere Meinungen zu Waffenbesitz und Frauen-Diskriminierung.“

Stolze Schreinerin mit Belobigung

Unter Letzterem hatte Sarah an ihrer ersten Ausbildungsstätte besonders gelitten. Bei anderwerk dagegen hatten die Vorgesetzten ihr Talent erkannt und ihr so auch Respekt verschafft. „Wir haben von ihrem Einfluß in der Gruppe profitiert, aber auch von ihrem Talent“, so Haas. Schließlich sei es eine alte Weisheit des Handwerks, dass in einen Lehrling investieren werden müsse, so dass die Werkstatt später etwas davon habe.

Mit ihrem Gesellenstück, einem Schminktisch, hat Sarah bereits eine Belobigung bei einem Gestaltungswettbewerb eingeheimst. Der Wettbewerb für Tischler- und Schreiner­hand­werk setzt sich zusammen aus Bewertungen auf Facebook (gewonnen von Sarah) und der Meinung einer Experten-Jury (Belobigung für Sarah). Außerdem sei ihr Vater vor stolz fast geplatzt als er das ausgestellte Gesellenstück bei anderwerk zum ersten Mal gesehen hatte.

Erfolg durch sanfte Förderung

Die Azubine hatte sich schon vor der Gesellenprüfung an der Universität der angewandten Künste in Wien beworben, wo sie nun ein Studium als Produktdesignerin absolvieren wird. „Die handwerkliche Ausbildung hat mir viel Selbstbewusstsein gegeben. Ich denke jetzt schon, wenn ich das geschafft habe, schaffe ich auch alles andere.“

Klaus Haas sagt stolz: „Wir freuen uns sehr mit Sarah über die bestandene Prüfung, die neuen Möglichkeiten in Wien und sehen in ihr eine absolute Erfolgsstory.“ Und fügt an: „Sie hat sich in unserem männerdominierten Handwerk durchgesetzt und ist vom Opfer zum Vorbild geworden.“ Das anderwerk-Team habe sie durch sanfte Lenkung, Zutrauen und Förderung ihre Talents unterstützt. Der Rest sei komplett selbst gemanagt oder wie sie sagen würde ‚„ich feiere mich ehrlich dafür, dass ich es geschafft habe.“

*Name von der Redaktion geändert.